Magistrat der Stadt Bebra
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Musterbeispiel gelebter Integration
 
Es sind dramatische Zeiten. Seit Monaten werden die Nachrichten in den Massenmedien und den Zeitungen von dem Flüchtlingsdrama beherrscht. Unterschwellig oder ganz unverhohlen wird Misstrauen gegenüber Migranten, egal, ob Einwanderer oder Asylsuchende, geschürt. Die sozialen Netzwerke sind voll von Hassbotschaften gegen Menschen, die in Deutschland Schutz suchen. Bewegungen wie Pegida erhalten immer größeren Zulauf. Durch die barbarischen Attentate von Paris und die Silvesternacht in Köln wird die Stimmung gegen Ausländer zusätzlich angeheizt – die ersten vermischen bereits den nicht endenden Flüchtlingsstrom mit fanatischem Terrorismus.

 
Dass es auch anders geht, beweist eine Stadt unmittelbar vor unserer Haustür: Bebra. Ausgerechnet die Stadt, die seit den 1970er-Jahren den Stempel „Türkenstadt“ aufgedrückt bekam. Diese 13.000-Seelen-Kommune, deren Ausländeranteil traditionell hoch ist, und die bis weit in das neue Jahrtausend hinein unter einem extrem schlechten Image gelitten hat.


Kehrtwende vollzogen
 
Genau dieses Bebra hat eine Kehrtwende vollzogen. Als prägnantes Beispiel dafür lässt sich der „Göttinger Bogen“ heranziehen. Einst verpöntes Wohngebiet, weil „türkisch“ dominiert, gilt es mittlerweile als „hipp“ hier zu wohnen. Worüber man früher die Nase rümpfte, gilt heute als lebendiger, multikultureller, lebendiger Trend. Ein kurioses Phänomen hat eingesetzt: Heute gelten im Göttinger Bogen nicht mehr die Familien mit Migrationshintergrund als „Problemfälle“. Als problematisch werden dagegen vielmehr sozial schwache deutschstämmige Bewohner des Quartiers wahrgenommen.
Wie ist dieser tief greifende Wandel, der von Bebra Besitz genommen hat, zu erklären?
 
Eine der Schlüsselfiguren ist Ulrich Rathmann, Jugendpfleger der Stadt Bebra. In seiner Heimatstadt ist „Uli“ bekannt wie der sprichwörtliche bunte Hund.
Rathmann berichtet: „Wenn man das Phänomen, das wir heute in Bebra erleben, verstehen will, muss man einige Jahre zurückgehen. Rückzug der Bahn, Grenzöffnung und der damit verbundene Wegfall der Zonenrandförderung hatten extreme Auswirkungen auf Bebra. Es herrschte eine pessimistische Grundstimmung bedingt durch das stark rückläufige Arbeitsplatzangebot, die vielen Menschen, die ihren Arbeitsplatz verloren hatten. Migranten wurden auf einmal eher als Konkurrenten, denn als Kollegen wahrgenommen. Jede noch so kleine schlechte Nachricht verstärkte diese Stimmung. Viele Einheimische sahen mehr das Trennende in den Neubürgern Bebras als das Verbindende.“
 
Firmen hielten Gastarbeiter in Deutschland


 Bebra hat traditionell einen überdurchschnittlich hohen Einwanderer-Anteil. Allein der Bau des Bahnhofes spülte vor über 100 Jahren Arbeiter aus zahlreichen Ländern nach Nordosthessen. Einige blieben. Die nächste Welle kam zur „Wirtschaftswunderzeit“. Gastarbeiter wurden angeworben. Als sie die Türkei verlassen hatten und begannen, in Deutschland Fuß zu fassen, entschieden sich viele, hier zu bleiben. Uli Rathmann: „Der ursprüngliche Gedanke, die dringend benötigten Arbeitskräfte nach ein paar Jahren wieder nach Hause zu schicken, weil sie hier nicht heimisch werden sollten, wurde schnell fallen gelassen. Die Wirtschaftsbetriebe, die ihre neuen Kräfte eingearbeitet hatten, wollten diese Arbeitskräfte nicht mehr gehen lassen. Sie durch neue Arbeiter zu ersetzen und einzuarbeiten hätte betriebswirtschaftlich keinen Sinn gemacht.“
Familien zogen nach, die nächsten Generationen kamen zur Welt. Uli Rathmann: „Dass unser Miteinander heute in Bebra so gut funktioniert, ist das Ergebnis jahrzehntelanger Bemühungen. Anfangs wusste doch noch gar keiner etwas mit dem Begriff ‚Integration’ anzufangen. Es gab schlichtweg überhaupt kein Konzept, wie man mit den neuen Bürgern umgehen sollte.“ Dazu kam der oft niedrige Bildungsstand der Gastarbeiter der ersten Generation. „Wir haben noch heute einige Menschen aus der ersten Einwanderergeneration in Bebra, die nur schlecht lesen und schreiben können“, sagt Uli Rathmann. „Für diese Menschen ist es natürlich außerordentlich schwer, außerhalb ihrer Familie an einem sozialen Leben teilnehmen zu können. Doch dies nur diesen Menschen allein anzulasten wäre zu kurz gedacht, auch der Staat hatte damals versäumt, klare Integrationsrichtlinien (Bereitstellung von Deutsch-und Integrationskursen, Teilnahmepflicht) aufzustellen.“
Mit dem Beginn seiner Tätigkeit als Leiter des Jugendzentrums in 1985 war die Arbeit mit jungen Migranten für Uli Rathmann ein wichtiger Bestandteil seiner Tätigkeit als Sozialpädagoge bei der Stadt Bebra. Vorrangiges Ziel war es für ihn junge Menschen, egal welcher Kultur und Nationalität, in ihrer Entwicklung zu selbstbewussten eigenverantwortlichen Bürgern ihrer Stadt zu fördern.
 „Es gab in Bebra immer Ansprechpartner, Menschen in Vereinen und auch bei den Kirchen“, sagt Uli Rathmann rückblickend. „Das ist wohl einer der ganz entscheidenden Punkte für den Erfolg.“ Damit gibt sich der Sozialpädagoge bescheiden. Denn nicht nur seine reine Anwesenheit dürfte maßgeblich für die erfolgreiche Sozialarbeit in einem schwierigen Umfeld, bestehend aus Angehörigen von mittlerweile 60 Nationen und Volksgruppen in Bebra gewesen sein. Vielmehr ist Uli Rathmann einer, der auf Menschen zugeht – das ist sicher ein Teil des Erfolgsrezeptes der Bebraer Integrationsarbeit.

 

„Man muss auf die Menschen zugehen“
 
Das sieht auch Dilek Baser so. Sie stammt aus der Türkei, lebte bereits in München und kam vor 17 Jahren nach Bebra, weil ihr Mann von hier kommt. Frühere Zeiten, als das Miteinander in Bebra nicht ganz so harmonisch war wie heute, kennt die gelernte Arzthelferin, die heute als Schulbetreuerin arbeitet, nicht.
„Es ist wunderbar hier“, lobt sie die prosperierende Stadt. „Hier gibt es tatsächlich ein echtes Miteinander.“
 
Die 37-Jährige engagiert sich in gleich mehreren Vereinen und ist sogar Erste Vorsitzende des Internationalen Tanzvereins – mit zehn Erwachsenen aus aller Herren Länder im Vorstand und 27 Kindern, die mit ihren Auftritten mit internationalen Tänzen das Publikum zu Begeisterungsstürmen hinreißen. „In München hätte ich mich niemals so engagiert wie hier“, sagt Dilek Baser. „Dort ist alles viel anonymer. Man findet nicht den Anschluss wie in Bebra.“ Wobei sie eine Einschränkung vornimmt. „Mir fällt es leicht, Anschluss zu finden, weil ich die Sprache beherrsche. Die Generation meiner Eltern tut sich da viel schwerer. Diese Menschen müssen angesprochen werden. Ansonsten trauen sie sich nicht, am gesellschaftlichen Leben teilzuhaben.“
 
Dieses Kunststück ist in Bebra nicht nur durch die Arbeit von Uli Rathmann gelungen. „Wir haben alle an einem Strang gezogen“, sagt der Stadtjugendpfleger. „Bürgermeister Horst Groß unterstützte die Arbeitsgruppe Interkulturelles Leben, in der Verantwortliche aus unterschiedlichsten Institutionen, Kirchen und Vereinen Integrationsarbeit entwickelten und zum Beispiel das Interkulturelle Fest und die Nacht der offenen Gotteshäuser veranstalteten. Auch das Netzwerk für Integration, Veranstalter des Suppenfestes, wird von der Stadt Bebra unterstützt. In den Schulen wird unglaublich gute Arbeit geleistet, Lehrer und Sozialpädagogen, wie zum Beispiel Christina Kindler, sehen Integration als wichtigen Bestandteil ihrer Arbeit, ob bei den Ferienspielen, der Hausaufgabenbetreuung oder in vielen anderen Initiativen. Die Überschaubarkeit unserer Kleinstadt und die ständige Erreichbarkeit eines Ansprechpartners sind sicher weitere positive Faktoren. Und ganz wichtig: Die Stadtentwicklungsgesellschaft unter ihrem Geschäftsführer Stefan Knoche hat mit den vielen großen und kleinen Initiativen und Projekten einen enormen Einfluss auf die gute Stimmung in Bebra. Das alles führt zu einer Situation, wie wir sie heute haben – es ist einfach schön, in Bebra zu leben.“
 
„Ohne Einwanderer wäre Bebra nicht das Bebra von heute“
 
Mittlerweile profitiert Bebra davon, dass inzwischen die dritte Generation der Einwandererfamilien in Bebra lebt und die jungen Menschen, die das Jugendzentrum besucht haben, größtenteils gesellschaftliche Verantwortung wahrnehmen. „Es ist für mich eine tolle Erfahrung, dass zum Beispiel im Vorstand des islamischen Kulturvereins viele junge Leute sind, die unser Jugendzentrum besucht haben“, freut sich Uli Rathmann über die Entwicklung.
Dilek Baser ergänzt: „Die Einwandererfamilien haben erkannt, wie wichtig Bildung ist, um in Deutschland voran zu kommen. Bildung ist der Schlüssel zu allem. Üblicherweise sind die Großeltern als einfache Arbeiter nach Deutschland gekommen. Die Eltern haben schon Berufsabschlüsse erreicht. Die dritte Generation ist jetzt dabei, höhere Qualifikationen zu erlangen, um weiter zu kommen.“
 
Allerdings wissen sowohl Uli Rathmann als auch Dilek Baser, dass man sich auf seinen Lorbeeren nicht ausruhen darf. „Wir müssen diese Werte wie Respekt, Wertschätzung und Toleranz selbst vorleben, vermitteln und immer wieder aufs Neue erkämpfen“, sagt Dilek Baser. „Von alleine kommt so etwas nicht.“
Dass aber Kurden, Türken, Aramäer, Albaner und Menschen aus insgesamt rund 60 Herkunftsländern friedlich nebeneinander in Bebra leben, das erfüllt Uli Rathmann und Dilek Baser mit großem Stolz.
Wobei sich Rathmann eine Mahnung an alle Kritiker des interkulturellen Zusammenlebens in Bebra nicht verkneifen kann: „Bebras Märkte und Geschäfte, Schulen und viele Wohngebäude sähen ohne die hier lebenden, arbeitenden und investierenden Migranten aus anderen Ländern sicher ganz anders aus, bzw. gäbe es nicht mehr. Und einen Fußballweltmeister hätten wir sicher auch nicht!“


 

 

 

„Europäischer Landwirtschaftsfonds für die Entwicklung des ländlichen Raums:
Hier investiert Europa in die ländlichen Gebiete unter Mitfinanzierung des Landes Hessen.“